Bericht: Zeitzeugengespräch mit Margit Siebner

Holocaust – Fakten, Orte, Menschen
ein interkulturelles Erinnerungsprojekt

Es ist mucksmäuschenstill im Saal, als Margit Siebner beginnt, über ihre Kindheit im Dritten Reich zu sprechen. Als Zehnjährige hat sie die Reichpogromnacht in Berlin miterlebt. Ihr jüdischer Vater war zu der Zeit Häftling im KZ Sachsenhausen. Wie durch ein Wunder gelang es der Mutter, den Vater aus dem KZ herauszuholen. Dazu musste sie sich scheiden lassen. Der Vater hatte dann noch vier Wochen Zeit, seine Ausreise nach Schanghai zu organisieren. Margit Siebner erinnert sich, wie ihr Vater ein Cafè gesucht habe, in dem Juden der Zutritt nicht verboten war. Ein einziges Cafè hätte er gefunden, wo er mit seiner Tochter sitzen konnte. Obwohl die Flucht gelang, sollte Margit ihren Vater nie wieder sehen. In Shanghai verstarb er 1946 an Lungenkrebs. Als Halbjüdin konnte Margit Siebner die letzten Kriegsjahre nur überleben, weil sie versteckt wurde. „Es gab auch gute Deutsche“ heißt die Biographie, die Viola Karl über sie geschrieben hat.
Margit Siebner ist 90 Jahre alt. Sie erzählt ihre Geschichte schon seit 25 Jahren. Früher ging sie in die Schulen, jetzt kommen noch kleine Gruppen zu ihr ins Altersheim. Heute, am 23. August, hat sie sich selbst noch mal auf den Weg in den Prenzlauer Berg gemacht zu einem Abend mit Deutschen und Geflüchteten. Ca. 60 Interessierte sind gekommen, unter ihnen 10 Geflüchtete. Humam Nasrini übersetzt ins Arabische. Er ist selbst ein Geflüchteter. Die Mitarbeit bei dem Holocaustprojekt ist ihm ein Herzensanliegen. Er ist der Ansicht, dass die Informationen über den Holocaust im arabischen Raum sehr lückenhaft sind. Information und Gespräch hält er für die besten Mittel, um Vorurteile und Hass gegenüber Juden zu überwinden und zu einem besseren Verständnis des Nah-Ost-Konfliktes beizutragen.
Das Zeitzeugengespräch mit Margit Siebner ist die dritte Veranstaltung im Rahmen des inter­kulturellen Erinnerungsrojektes: „Holocaust –Fakten, Orte, Menschen“, das der Ökumenische Arbeitskreis Prenzlauer Berg anlässlich des 80. Jahrestages der Reichspogromnacht ins Leben gerufen hat. Da der ökumenische Arbeitskreis auch in die Flüchtlingsarbeit eingebunden ist, bot sich dieses interkulturelle Projekt an. Beim ersten Treffen gab es einen Vortrag über die Geschichte der Judenverfolgung von der Antike bis zum Holocaust. Es folgte eine Exkursion in die Gedenkstätte des KZ Sachsenhausen. In ihren Reaktionen zeigen sich die Geflüchteten erschüttert über die Verbrechen an den Juden. Einige berichten auch von eigenen traumatischen Erfahrungen mit Verfolgung, Krieg und Inhaftierung. Den Initiatoren ist wichtig, dass dieses Projekt nicht nur über die Verbrechen der Nazi-Zeit informiert. Ihnen liegt auch daran, zu zeigen, wie man in Deutschland mit der Last der Vergangenheit umgeht. Die nächste Veranstaltung ist ein Besuch der Gedenkorte für die Opfer des Nationalsozialimus im Tiergarten (28.9.) und ein Besuch der Synagoge in der Oranienburger Straße (18.10.). (Infos unter www.oeak.de.)
Am Ende des heutigen Abends stellt ein Syrer noch eine letzte Frage an Margit Siebner. „Warum tun Sie sich das an, immer wieder von Ihren Erfahrungen zu berichten?“ Frau Siebner muss nicht lange überlegen: „Ich möchte etwas tun, damit solch ein Unrecht nie wieder geschieht. Ich habe Angst – Angst, dass unsere Gesellschaft wieder nach rechts rutscht. Deswegen spreche ich immer wieder von dem, was ich erlebt habe, solange meine Kraft noch reicht.“

Katharina Jany

Margit Siebner (Foto: Katrin Kirchner)
Humam Nasrini übersetzt (Foto: Katharina Jany)
(Foto: Andreas Schulz)