Interview: Herr Melchior (NAK)

Katharina Jany traf sich mich Herrn Melchior, dem Gemeindeleiter der Neuapostolischen Kirche (Dunckerstraße 31)

Herr Melchior vor der NAK in der Dunckerstraße 31

Jany: Herr Melchior, Sie sind der Gemeindeleiter der Neuapostolischen Gemeinde in der Dunckerstr. 31. Können Sie uns kurz Ihre Gemeinde vorstellen?
Melchior: Gerne. Unsere Gemeinde besteht seit mehr als 100 Jahren. Sie ist seit dem Jahr 1934 in der damals neu erbauten Kirche in der Dunckerstraße 31 beheimatet. Gegenwärtig versammeln sich sonntags mehr als 200 Gemeindemitglieder zu den Gottesdiensten. Ein gemischter Chor umrahmt die Gottesdienste. Die große Pfeifenorgel der Firma Sauer begleitet den Gemeindegesang. Kirchliche Angebote gibt es für alle Altersgruppen. In der Regel zweimal monatlich werden auch Gottesdienste in einem wenige Kilometer entfernten Seniorenheim durchgeführt, in dem mehrere Gemeindemitglieder leben. Die Zusammensetzung der Gemeinde ist in jeder Hinsicht bunt gemischt. Neben alteingesessenen Berlinern haben in den letzten Jahren auch etliche Zuzügler den Weg in die Gemeinde gefunden.
Jany: Wie ist die Neuapostolische Kirche entstanden und wie kam sie zu ihrem Namen?
Melchior: Die Kirche geht zurück auf eine Erweckungsbewegung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die in dem kleinen Ort Albury, südwestlich von London, ihren Anfang nahm. Nach der personalen Wiederbesetzung des Apostelamtes, das eigentlich der gesamten Kirche dienen sollte, kam es zur Gründung von Gemeinden. Aus den so entstandenen katholisch-apostolischen Gemeinden ging im Jahr 1863 die heutige Neuapostolische Kirche hervor, die sich von Hamburg aus in Deutschland, den Niederlanden, Europa und dann schließlich in der ganzen Welt verbreitete. Heute zählt die Kirche weltweit rund neun Millionen Mitglieder. Die Entwicklung des Namens ist schwer in wenigen Worten zu beschreiben. Zuerst gab es keine einheitliche Namensgebung, sondern eine verwirrende Namensvielfalt. Der heutige Name geht letztlich darauf zurück, dass im Zuge der Registrierung der Gemeinden als Vereine ein Name gefunden werden musste, der eine hinreichende Abgrenzung zu bereits bestehenden apostolischen Gemeinschaften oder Gemeinden bot. Letztlich ermöglichte es in Deutschland erst die vor einhundert Jahren in Kraft getretene Weimarer Reichsverfassung, die Gemeinschaft als Neuapostolische Kirche zu bezeichnen und die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erreichen. Zuerst gelang dies im Jahr 1921 der „Neuapostolischen Kirche im Freistaat Baden“. In Südafrika wurde schon einige Jahre zuvor die Religionsgemeinschaft als „New Apostolic Church“ registriert. Auch wenn sich der heutige Name teilweise durch äußere Umstände entwickelte, macht er doch deutlich, dass die Gemeinschaft der Gläubigen wie in urchristlicher Zeit von Aposteln geleitet wird.
Jany: Wie ist die Neuapostolische Kirche organisiert und welche Leitungsämter gibt es?
Melchior: Die Kirche ist eine Amtskirche und hierarchisch strukturiert. International wird sie von dem Präsidenten der Neuapostolischen Kirche International, dem Franzosen Jean-Luc Schneider. Er trägt das Stammapostelamt und versieht nach unserem Verständnis den Petrusdienst. Der Begriff „Stammapostel“ geht darauf zurück, dass den zwölf Aposteln der Anfangszeit der apostolischen Bewegung jeweils einer der zwölf Stämme Israels zugeordnet war. Dies hat allerdings heute keine Bedeutung mehr, wie die abweichenden Bezeichnungen für Stammapostel in anderen Sprachen „chief apostle“, „apôtre-patriarche“ oder „apóstol mayor“ zeigen. Bezirksapostel unterstützen den Stammapostel in der Leitung der Kirche. Sie stehen sogenannten Gebietskirchen vor, die in Deutschland als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfasst sind. Innerhalb der Gebietskirchen gibt es Apostelbezirke, die wiederum in Kirchenbezirke unterteilt sind, die jeweils mehrere Gemeinden umfassen. Unsere Gemeinde in der Dunckerstraße gehört zum Kirchenbezirk Berlin-Brandenburg-Nord der Gebietskirche Berlin-Brandenburg. Unsere Kirche kennt drei Ämter: Das Apostelamt, das Priesteramt und das Diakonenamt.
Jany: In der Vergangenheit war die Neuapostolische Kirche sehr abgeschlossen. Sie beanspruchte für sich, aufgrund der Wiedereinsetzung des Apostelamtes, die wahre Kirche Christi zu sein und pflegte keinen Kontakt zu den anderen christlichen Kirchen. Nachdem die Neuapostolische Kirche 2012 einen eigenen Katechismus herausgebracht hat, hat sie sich der Ökumene geöffnet. So ist die Neuapostolische Kirche seit 2017 assoziiertes Mitglied im Ökumenischen Rat der Kirchen Berlin-Brandenburg. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Melchior: Diese Entwicklung wird seitens meiner Kirche schon seit Jahrzehnten befördert, nicht erst seit Herausgabe des Katechismus, die den Prozess aber sicher maßgeblich beschleunigt hat. Ich sehe diese Entwicklung sehr positiv, gilt es doch, dem Evangelium auch in einer Zeit der zunehmenden Entchristlichung Gehör zu verschaffen. Zudem fördern ökumenische Kontakte das gegenseitige Verständnis und ermöglichen es, voneinander zu lernen. Schön finde ich den Gedanken, dass wir Christen – bei aller Verschiedenheit – zusammenhalten sollten. Ich selbst kenne es seit Kindertagen, dass wir angehalten worden sind, über andere Kirchen und Religionen nie abfällig zu reden und den Glauben anderer zu respektieren, zu achten und zu tolerieren. Ich habe zum Beispiel in der Schule auch den evangelischen Religionsunterricht besucht. Umso mehr freut mich das heutige Verständnis meiner Kirche von der „Kirche Christi“. Danach gehören zu ihr alle im dreieinigen Namen Gottes mit Wasser getauften Menschen, die an Jesus Christus glauben und ihn als Herrn bekennen.
Jany: Aussteiger aus der Neuapostolischen Kirche berichteten, dass sie durch strenge Verbote und eine totale Überwachung des persönlichen Lebenswandels psychische Schäden erlitten. Was sagen Sie zu solchen Vorwürfen?
Melchior: Solche Vorwürfe sind ernst zu nehmen und ich stelle sie auch nicht in Abrede, obwohl ich selbst in rund 50 Jahren, in denen ich die Kirche in verschiedenen Gemeinden erlebt habe, dergleichen nicht bewusst wahrgenommen habe. Die heutige Kirchenleitung hat mehrfach für Fehlverhalten der Kirche oder ihrer Funktionsträger in der Kirche um Entschuldigung gebeten. Meist beziehen sich die Klagen – so jedenfalls mein Eindruck – auf Vorkommnisse, die viele Jahre zurückliegen. Will man dies beurteilen, ist auch das jeweilige gesellschaftliche Umfeld zu bedenken. Damit darf Fehlverhalten aber nicht entschuldigt werden. Ich kann auch nicht beurteilen, ob es sich um Einzelfälle handelt oder strukturelle Probleme ausschlaggebend waren. Wie dem auch sei, in meiner Kirche handelten und handeln fehlerhafte Menschen. Der Schweizer Stammapostel Hans Urwyler (aktiv von 1978 bis 1988) hat erstmals die Bedeutung der Eigenverantwortung ausdrücklich und deutlich herausgestellt. Dies verbietet Vorgaben zur persönlichen Lebensführung oder gar eine Sanktionierung. Es geht heute vielmehr um begleitende Seelsorge. Gleichwohl ergeben sich aus dem Evangelium Hinweise, die unmittelbar den Lebenswandel betreffen. Denken Sie nur an das Gebot der Nächstenliebe oder den Hinweis in Berg- und Feldpredigt, den Balken im eigenen Auge zu entfernen, bevor man sich des Splitters im Auge des Nächsten annimmt.
Jany: Sie arbeiten als Referatsleiter in einer obersten Bundebehörde. Das heißt, Sie leiten diese große Gemeinde ehrenamtlich neben ihrer eigentlichen Arbeit. Wie ist das zu schaffen?
Melchior: Mit Gottes Hilfe und Segen, mit vielfältiger Mitwirkung der Gemeindemitglieder einschließlich weiterer Amtsträger, Hilfestellung der Kirchenverwaltung und nicht zuletzt mit Freude an der Arbeit. Sicher gibt es auch Tätigkeiten, für die ich gerne mehr Zeit hätte, wie zum Beispiel für die Pflege ökumenischer Kontakte. Aber wem geht es nicht so? Im Übrigen empfinde ich es als außerordentlich bereichernd und den Blick weitend, die Welt nicht eindimensional (nur Kirche, nur Arbeit) zu erfahren, sondern mit Menschen unterschiedlichster Bildung, Herkunft, Status und Einstellung Umgang zu haben. Kollegen nutzen ihre freie Zeit eben für andere Dinge und engagieren sich in Parteien, sozialen Projekten, Vereinen oder pflegen Hobbys.

Innenraum der NAK

Jany: Welche Schwerpunkte setzen Sie in Ihrer Gemeinde?
Melchior: Schwerpunkt ist und bleibt das Evangelium, die Ausrichtung der Gläubigen auf Jesus Christus und seine baldige Wiederkunft. Mein Anliegen ist es, dass die Mitglieder in allen Lebenssituationen, ob Trauer und Leid oder Freude und Wohlergehen, die Sicherheit und das Glück erfahren können, von Gott geliebt und in ihm geborgen zu sein – und das unabhängig von eigener Leistung, Herkunft, Können, Fehlern oder Fähigkeiten. Besonders Jugendliche und Kinder sollen einen angstfreien und selbstbestimmten Zugang zu Glaube, Gebet, Gemeinschaft und Behütetsein in Gott finden und sich zu freudigen, selbstbewussten und glaubensstarken Christen entwickeln können, die nicht nur an sich, sondern auch an andere denken. Und die darüber hinaus nicht nur irdische Ziele im Blick haben, sondern auch die ewige Gemeinschaft mit Gott.
Jany: Das gegenwärtige Leitwort der Ökumene ist das einer Einheit in versöhnter Verschiedenheit. Jede Kirche darf und soll ihre eigene Identität wahren und ihre besonderen Gaben einbringen. Was ist Ihnen persönlich an Ihrer Kirche besonders wertvoll? Auf welche Aspekte des christlichen Glaubens könnte uns die Neuapostolische Kirche neu aufmerksam machen?
Melchior: Das von Ihnen benannte Leitwort gefällt mir sehr gut. Es verlangt, wenn man es ernst nimmt, gegenseitigen Respekt, Achtung und Toleranz. Ich finde an meiner Kirche sehr angenehm, dass es zentral um das Evangelium, das Heil geht, das Gott allen anbietet, und weniger um gesellschaftspolitische Aktivitäten oder unterhaltende Freizeitbeschäftigung. Schön finde ich auch, dass der persönlichen, individuellen Seelsorge, sofern und soweit sie gewünscht ist, ein hoher Stellenwert eingeräumt wird, was besonders in Lebenskrisen Halt und Sicherheit geben kann. Zur Identität meiner Kirche gehört, dass sie von Aposteln geleitet wird, die Versöhnung predigen und die Gläubigen auf die baldige Wiederkunft Christi vorbereiten. Neben dem Sakrament der Taufe und des Heiligen Abendmahls kennen wir das Sakrament der Heiligen Versiegelung (Spendung der Gabe Heiligen Geistes) und wir treten auch für das Heil der Menschen, die entschlafen sind, ein. Neben den genannten Besonderheiten unserer Glaubenslehre finde ich die immer noch ausgeprägte Bereitschaft zum Ehrenamt und die Finanzierung kirchlicher Aufgaben und Angebote allein durch freiwillige Spenden der Mitglieder erwähnenswert.
Jany: Sie haben eine wunderschöne Kirche und einen tollen Kirchenchor. In technischer Hinsicht sind Sie weiter als alle Nachbargemeinden. Per Bildschirm wird der Gottesdienst in verschiedene Gemeinderäume übertragen. So können beispielsweise auch Eltern mit ihren Kleinkindern in einem extra Raum dem Gottesdienst folgen. Wann kann man denn mal Ihre Gemeinde besuchen und kennenlernen?
Melchior: Schön, dass Ihnen unser Chor gefällt. Er wirkt übrigens bei allen Gottesdiensten mit, die regelmäßig an Sonntagen um 10 Uhr und mittwochs um 19:30 Uhr stattfinden – und die wir für kranke Gemeindemitglieder auch per Telefonkonferenz übertragen. Die Gottesdienste sind öffentlich und jede bzw. jeder, der möchte, kann völlig unverbindlich kommen – und gehen. Ab und zu haben wir dienstags die Kirche auch ganz einfach so geöffnet, und jeder, der will, kann hereinschauen. Das im Bauhausstil errichtete und unter Denkmalschutz stehende schlichte Kirchengebäude ist gerade im Jubiläumsjahr „100 Jahre Bauhaus“ ein Besuch wert. Kennenlernen können Sie uns auch am 24. Mai 2019 bei der „Nacht der offenen Kirchen“. Sie kooperiert ja mit dem „Tag der Nachbarn“ und als solche laden wir Sie gern ein! Darüber hinaus engagieren wir uns auch bei der „8. Langen Nacht der Religionen“ am 15. Juni 2019 (geöffnet: 19 bis 23 Uhr, Andacht um 20 Uhr zum Thema „Wasser des Lebens“). Über Termine informiert auch unsere Gemeindehomepage (www.nak-prenzlauerberg.de). Wir freuen uns über lieben Besuch aus der Nachbarschaft.


Jany: Wie ist die Neuapostolische Kirche entstanden und wie kam sie zu ihrem Namen?
Melchior: Die Kirche geht zurück auf eine Erweckungsbewegung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die in dem kleinen Ort Albury, südwestlich von London, ihren Anfang nahm. Nach der personalen Wiederbesetzung des Apostelamtes, das eigentlich der gesamten Kirche dienen sollte, kam es zur Gründung von Gemeinden. Aus den so entstandenen katholisch-apostolischen Gemeinden ging im Jahr 1863 die heutige Neuapostolische Kirche hervor, die sich von Hamburg aus in Deutschland, den Niederlanden, Europa und dann schließlich in der ganzen Welt verbreitete. Heute zählt die Kirche weltweit rund neun Millionen Mitglieder. Die Entwicklung des Namens ist schwer in wenigen Worten zu beschreiben. Zuerst gab es keine einheitliche Namensgebung, sondern eine verwirrende Namensvielfalt. Der heutige Name geht letztlich darauf zurück, dass im Zuge der Registrierung der Gemeinden als Vereine ein Name gefunden werden musste, der eine hinreichende Abgrenzung zu bereits bestehenden apostolischen Gemeinschaften oder Gemeinden bot. Letztlich ermöglichte es in Deutschland erst die vor einhundert Jahren in Kraft getretene Weimarer Reichsverfassung, die Gemeinschaft als Neuapostolische Kirche zu bezeichnen und die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erreichen. Zuerst gelang dies im Jahr 1921 der „Neuapostolischen Kirche im Freistaat Baden“. In Südafrika wurde schon einige Jahre zuvor die Religionsgemeinschaft als „New Apostolic Church“ registriert. Auch wenn sich der heutige Name teilweise durch äußere Umstände entwickelte, macht er doch deutlich, dass die Gemeinschaft der Gläubigen wie in urchristlicher Zeit von Aposteln geleitet wird.
Jany: Wie ist die Neuapostolische Kirche organisiert und welche Leitungsämter gibt es?
Melchior: Die Kirche ist eine Amtskirche und hierarchisch strukturiert. International wird sie von dem Präsidenten der Neuapostolischen Kirche International, dem Franzosen Jean-Luc Schneider. Er trägt das Stammapostelamt und versieht nach unserem Verständnis den Petrusdienst. Der Begriff „Stammapostel“ geht darauf zurück, dass den zwölf Aposteln der Anfangszeit der apostolischen Bewegung jeweils einer der zwölf Stämme Israels zugeordnet war. Dies hat allerdings heute keine Bedeutung mehr, wie die abweichenden Bezeichnungen für Stammapostel in anderen Sprachen „chief apostle“, „apôtre-patriarche“ oder „apóstol mayor“ zeigen. Bezirksapostel unterstützen den Stammapostel in der Leitung der Kirche. Sie stehen sogenannten Gebietskirchen vor, die in Deutschland als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfasst sind. Innerhalb der Gebietskirchen gibt es Apostelbezirke, die wiederum in Kirchenbezirke unterteilt sind, die jeweils mehrere Gemeinden umfassen. Unsere Gemeinde in der Dunckerstraße gehört zum Kirchenbezirk Berlin-Brandenburg-Nord der Gebietskirche Berlin-Brandenburg. Unsere Kirche kennt drei Ämter: Das Apostelamt, das Priesteramt und das Diakonenamt.
Jany: In der Vergangenheit war die Neuapostolische Kirche sehr abgeschlossen. Sie beanspruchte für sich, aufgrund der Wiedereinsetzung des Apostelamtes, die wahre Kirche Christi zu sein und pflegte keinen Kontakt zu den anderen christlichen Kirchen. Nachdem die Neuapostolische Kirche 2012 einen eigenen Katechismus herausgebracht hat, hat sie sich der Ökumene geöffnet. So ist die Neuapostolische Kirche seit 2017 assoziiertes Mitglied im Ökumenischen Rat der Kirchen Berlin-Brandenburg. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Melchior: Diese Entwicklung wird seitens meiner Kirche schon seit Jahrzehnten befördert, nicht erst seit Herausgabe des Katechismus, die den Prozess aber sicher maßgeblich beschleunigt hat. Ich sehe diese Entwicklung sehr positiv, gilt es doch, dem Evangelium auch in einer Zeit der zunehmenden Entchristlichung Gehör zu verschaffen. Zudem fördern ökumenische Kontakte das gegenseitige Verständnis und ermöglichen es, voneinander zu lernen. Schön finde ich den Gedanken, dass wir Christen – bei aller Verschiedenheit – zusammenhalten sollten. Ich selbst kenne es seit Kindertagen, dass wir angehalten worden sind, über andere Kirchen und Religionen nie abfällig zu reden und den Glauben anderer zu respektieren, zu achten und zu tolerieren. Ich habe zum Beispiel in der Schule auch den evangelischen Religionsunterricht besucht. Umso mehr freut mich das heutige Verständnis meiner Kirche von der „Kirche Christi“. Danach gehören zu ihr alle im dreieinigen Namen Gottes mit Wasser getauften Menschen, die an Jesus Christus glauben und ihn als Herrn bekennen.
Jany: Aussteiger aus der Neuapostolischen Kirche berichteten, dass sie durch strenge Verbote und eine totale Überwachung des persönlichen Lebenswandels psychische Schäden erlitten. Was sagen Sie zu solchen Vorwürfen?
Melchior: Solche Vorwürfe sind ernst zu nehmen und ich stelle sie auch nicht in Abrede, obwohl ich selbst in rund 50 Jahren, in denen ich die Kirche in verschiedenen Gemeinden erlebt habe, dergleichen nicht bewusst wahrgenommen habe. Die heutige Kirchenleitung hat mehrfach für Fehlverhalten der Kirche oder ihrer Funktionsträger in der Kirche um Entschuldigung gebeten. Meist beziehen sich die Klagen – so jedenfalls mein Eindruck – auf Vorkommnisse, die viele Jahre zurückliegen. Will man dies beurteilen, ist auch das jeweilige gesellschaftliche Umfeld zu bedenken. Damit darf Fehlverhalten aber nicht entschuldigt werden. Ich kann auch nicht beurteilen, ob es sich um Einzelfälle handelt oder strukturelle Probleme ausschlaggebend waren. Wie dem auch sei, in meiner Kirche handelten und handeln fehlerhafte Menschen. Der Schweizer Stammapostel Hans Urwyler (aktiv von 1978 bis 1988) hat erstmals die Bedeutung der Eigenverantwortung ausdrücklich und deutlich herausgestellt. Dies verbietet Vorgaben zur persönlichen Lebensführung oder gar eine Sanktionierung. Es geht heute vielmehr um begleitende Seelsorge. Gleichwohl ergeben sich aus dem Evangelium Hinweise, die unmittelbar den Lebenswandel betreffen. Denken Sie nur an das Gebot der Nächstenliebe oder den Hinweis in Berg- und Feldpredigt, den Balken im eigenen Auge zu entfernen, bevor man sich des Splitters im Auge des Nächsten annimmt.
Jany: Sie arbeiten als Referatsleiter in einer obersten Bundebehörde. Das heißt, Sie leiten diese große Gemeinde ehrenamtlich neben ihrer eigentlichen Arbeit. Wie ist das zu schaffen?
Melchior: Mit Gottes Hilfe und Segen, mit vielfältiger Mitwirkung der Gemeindemitglieder einschließlich weiterer Amtsträger, Hilfestellung der Kirchenverwaltung und nicht zuletzt mit Freude an der Arbeit. Sicher gibt es auch Tätigkeiten, für die ich gerne mehr Zeit hätte, wie zum Beispiel für die Pflege ökumenischer Kontakte. Aber wem geht es nicht so? Im Übrigen empfinde ich es als außerordentlich bereichernd und den Blick weitend, die Welt nicht eindimensional (nur Kirche, nur Arbeit) zu erfahren, sondern mit Menschen unterschiedlichster Bildung, Herkunft, Status und Einstellung Umgang zu haben. Kollegen nutzen ihre freie Zeit eben für andere Dinge und engagieren sich in Parteien, sozialen Projekten, Vereinen oder pflegen Hobbys.
Jany: Welche Schwerpunkte setzen Sie in Ihrer Gemeinde?
Melchior: Schwerpunkt ist und bleibt das Evangelium, die Ausrichtung der Gläubigen auf Jesus Christus und seine baldige Wiederkunft. Mein Anliegen ist es, dass die Mitglieder in allen Lebenssituationen, ob Trauer und Leid oder Freude und Wohlergehen, die Sicherheit und das Glück erfahren können, von Gott geliebt und in ihm geborgen zu sein – und das unabhängig von eigener Leistung, Herkunft, Können, Fehlern oder Fähigkeiten. Besonders Jugendliche und Kinder sollen einen angstfreien und selbstbestimmten Zugang zu Glaube, Gebet, Gemeinschaft und Behütetsein in Gott finden und sich zu freudigen, selbstbewussten und glaubensstarken Christen entwickeln können, die nicht nur an sich, sondern auch an andere denken. Und die darüber hinaus nicht nur irdische Ziele im Blick haben, sondern auch die ewige Gemeinschaft mit Gott.
Jany: Das gegenwärtige Leitwort der Ökumene ist das einer Einheit in versöhnter Verschiedenheit. Jede Kirche darf und soll ihre eigene Identität wahren und ihre besonderen Gaben einbringen. Was ist Ihnen persönlich an Ihrer Kirche besonders wertvoll? Auf welche Aspekte des christlichen Glaubens könnte uns die Neuapostolische Kirche neu aufmerksam machen?
Melchior: Das von Ihnen benannte Leitwort gefällt mir sehr gut. Es verlangt, wenn man es ernst nimmt, gegenseitigen Respekt, Achtung und Toleranz. Ich finde an meiner Kirche sehr angenehm, dass es zentral um das Evangelium, das Heil geht, das Gott allen anbietet, und weniger um gesellschaftspolitische Aktivitäten oder unterhaltende Freizeitbeschäftigung. Schön finde ich auch, dass der persönlichen, individuellen Seelsorge, sofern und soweit sie gewünscht ist, ein hoher Stellenwert eingeräumt wird, was besonders in Lebenskrisen Halt und Sicherheit geben kann. Zur Identität meiner Kirche gehört, dass sie von Aposteln geleitet wird, die Versöhnung predigen und die Gläubigen auf die baldige Wiederkunft Christi vorbereiten. Neben dem Sakrament der Taufe und des Heiligen Abendmahls kennen wir das Sakrament der Heiligen Versiegelung (Spendung der Gabe Heiligen Geistes) und wir treten auch für das Heil der Menschen, die entschlafen sind, ein. Neben den genannten Besonderheiten unserer Glaubenslehre finde ich die immer noch ausgeprägte Bereitschaft zum Ehrenamt und die Finanzierung kirchlicher Aufgaben und Angebote allein durch freiwillige Spenden der Mitglieder erwähnenswert.
Jany: Sie haben eine wunderschöne Kirche und einen tollen Kirchenchor. In technischer Hinsicht sind Sie weiter als alle Nachbargemeinden. Per Bildschirm wird der Gottesdienst in verschiedene Gemeinderäume übertragen. So können beispielsweise auch Eltern mit ihren Kleinkindern in einem extra Raum dem Gottesdienst folgen. Wann kann man denn mal Ihre Gemeinde besuchen und kennenlernen?
Melchior: Schön, dass Ihnen unser Chor gefällt. Er wirkt übrigens bei allen Gottesdiensten mit, die regelmäßig an Sonntagen um 10 Uhr und mittwochs um 19:30 Uhr stattfinden – und die wir für kranke Gemeindemitglieder auch per Telefonkonferenz übertragen. Die Gottesdienste sind öffentlich und jede bzw. jeder, der möchte, kann völlig unverbindlich kommen – und gehen. Ab und zu haben wir dienstags die Kirche auch ganz einfach so geöffnet, und jeder, der will, kann hereinschauen. Das im Bauhausstil errichtete und unter Denkmalschutz stehende schlichte Kirchengebäude ist gerade im Jubiläumsjahr „100 Jahre Bauhaus“ ein Besuch wert. Kennenlernen können Sie uns auch am 24. Mai 2019 bei der „Nacht der offenen Kirchen“. Sie kooperiert ja mit dem „Tag der Nachbarn“ und als solche laden wir Sie gern ein! Darüber hinaus engagieren wir uns auch bei der „8. Langen Nacht der Religionen“ am 15. Juni 2019 (geöffnet: 19 bis 23 Uhr, Andacht um 20 Uhr zum Thema „Wasser des Lebens“). Über Termine informiert auch unsere Gemeindehomepage (www.nak-prenzlauerberg.de). Wir freuen uns über lieben Besuch aus der Nachbarschaft.

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